Ein Beitrag von Dr. Uwe-Klaus Jarosch, Oktober 2025
Nach vielfältiger Aussage leben wir in einer VUCA-Welt.
VUCA ist das Akronym für Volatility, Uncertenty, Complexity, Ambiguity,
übersetzt: schwankend, unsicher, komplex, mehrdeutig.
Für die gesamte Gesellschaft mit politischen und sozialen Verflechtungen ist das gültig.
Bei technischen Systemen müssen wir unterscheiden zwischen kompliziert und komplex.
Dazu sollte aber erst mal klar werden, was Komplexität ist.
Vor knapp 10 Jahren durfte ich einen Vortrag mit dem Titel „Komplexität – die große FMEA-Herausforderung“ verfolgen. Es ging um die Betrachtung technischer Systeme vorrangig in der Automobil-Entwicklung.
Kern des Vortrags war die Definition von Komplexen Produkten und deren Auswirkung auf die FMEA-Arbeit.
Diese Grafik und auch andere Bilder haben mir kein klares Verständnis vermittelt, was den Unterschied zwischen kompliziert und komplex ausmacht.
Knapp 10 Jahre später bin ich auf eine sehr eingängige Unterschiedsbeschreibung in einem Vortrag von Prof. Harald Lesch gestoßen:
Kompliziert
Kompliziert ist das Einbahnstraßensystem von Florenz.
Wenn man da ein paar Tage ist, weiß man aber wie es geht und man weiß wie man zu fahren hat, wie man aus der Stadt wieder rauskommt, wenn man will.
Komplex
Komplex würde dieses Einbahnstraßensystem,
wenn die erlaubte Fahrtrichtung von den Teilnehmerzahlen abhängig werden.
Also morgens um 2 Uhr treffen die sich und sagen: Heute kommt hier keiner mehr rein.
So das heißt, es wäre unvorhersehbar. Das System beginnt komplex zu werden, weil die Akteure selber die Eigenschaften des Systems Verändern. Und das ist das System, in dem wir mittendrin sind.
Der Unterschied entsteht danach im Wesentlichen durch den Verlust der einfachen Vorhersagbarkeit des Verhaltens. Weiterhin bestehen Gesetzmäßigkeiten, aber es sind mehrere Systempartner beteiligt, jeder mit seinem Reaktionsschema. Damit wird es unübersichtlich.
Etwas detaillierter als das Einbahnstraßenbeispiel von Prof. Lesch ist folgende Vergleichsliste:
| Kompliziert | Komplex |
Struktur: | Viele Einzelteile, aber klar definiert | Viele Teile mit dynamischen Wechselwirkungen |
Verständlichkeit: | Mit genug Zeit und Wissen durchschaubar | Nicht vollständig vorhersehbar oder steuerbar |
Verhalten: | Deterministisch*
| Nichtlinear, emergent**
|
Entwicklungs-ansatz | Analytisch, Schritt für Schritt Komplizierte Systeme brauchen Expertenwissen, um die Struktur zu erfassen und sie dann systematisch zu betrachten. | Adaptiv, oft mit Simulation oder KI. |
Beispiele: | Eine mechanische Uhr Ein Jet-Triebwerk – viele Teile, aber alles ist berechenbar. | Ein modernes Verkehrsnetz,
|
Verwendete Begriffe | * nach Regeln vorhersagbar | ** Der Begriff „emergent“ beschreibt Phänomene oder Eigenschaften, die neu entstehen, wenn viele einfache Elemente miteinander interagieren – und zwar so, dass das Ergebnis nicht direkt aus den Einzelteilen ableitbar ist. |
Mit diesem Verständnis von Komplexität wird es klarer, konventionelle aber „komplizierte“ von „komplexen“, systemisch arbeitenden Entwicklungsgegenständen zu unterscheiden.
Auch wenn der Entwicklungsgegenstand „nur“ kompliziert ist, kann es nötig sein, vereinfachende Annahmen zu treffen, um bestimmte Aufgaben in vorgegebener Zeit zu erfüllen.
Diese Vereinfachung kann aber getestet werden, da die Ursachen-Wirkungs-Beziehung nur innerhalb dieses Systems stattfindet.
Jede Vereinfachung, jede Modellbildung, jede Ähnlichkeitsbetrachtung birgt das Risiko, Details nicht zu berücksichtigen. Aber mit Blick auf die Hauptfunktionen eines Entwicklungsgegenstands kann das einer nachfolgenden Optimierung überlassen werden.
Ist das System jedoch komplex vernetzt, so ist ein Test nicht möglich. Das Ergebnis der dynamischen Kette von Ursachen und Wirkungen ist meist unbekannt und kann daher auch nicht auf „erfüllt“ oder „nicht erfüllt“ bewertet werden.
Auch wenn ein Test durchgeführt wird und mit „erfüllt“ bewertet wird, so ist dies keine Absicherung, dass leicht andere Testparameter in einem komplexen System zu ganz anderen Ergebnissen führen.
„Komplex“ ist ein Modewort und wird daher an passenden, meist aber auch an unpassenden Stellen verwendet. Alles, was nicht spontan begriffen wird, ist komplex. Der Begriff VUCA suggeriert, dass alle Aufgaben den vier Kriterien entsprechen, also auch komplex sind.
Es hört sich ja auch viel besser an, wenn man „komplexe Probleme“ gelöst hat, auch wenn sie lediglich kompliziert oder mit zahlreichen Randbedingungen oder Varianten versehen waren. Es entsteht eine Dramatisierung von Aufgaben oder geleisteten Lösungen.
Es stellt sich daher die Fragen, welche Risiko-Betrachtung und welche Methode der Problemlösung genutzt werden kann.
Manche Risikobetrachtung kann man – aus meiner Erfahrung – auch sein lassen, wenn man nicht bereit ist, die Details zu betrachten.
Ein gangbarer Weg ist, Schwerpunkte aufbauend auf einer Delta-Analyse zum Vorgänger zu setzen. Welche Aufgaben im Produkt oder Prozess sind so und unverändert aus dem Vorgänger übernommen und erprobt? -> Haken dran.
Wo sind die Wirkprinzipien identisch zum Vorgänger, aber neue Randbedingungen oder Ziele vorgegeben? -> Betrachtung mit dem vorliegenden Wissen und Konzentration auf die Nachweise zur Zielerreichung.
Wo sind neue Aufgaben gefordert, neue Lösungswege geplant? -> Grundlegende Betrachtung von Zielen, Ursachen und Wirkungen und den neuen Wegen zum Ziel.
Wo sind bisherige Entwicklungen daran gescheitert, dass das Produkt nicht allein, sondern in einem komplexen Zusammenspiel eingesetzt werden sollte?
Das wird den Unterschied zwischen kompliziert und komplex verdeutlichen.
Bei den Lösungsstrategien sehe ich verwandte Vorgehensweisen, jedoch für komplexe Systeme mit der Notwendigkeit, die Systemgrenzen so zu legen, dass die wesentlichen Einflüsse der Systemumgebung mit berücksichtigt werden können. Das macht die Aufgabe nicht leichter, aber das Ergebnis der Betrachtung verlässlicher. Dazu sind Werkzeugen nötig, die ein solches Systemverhalten aufzeigen können.
Auch hier ist es nötig, zu verstehen, wie die Zusammenhänge sind.
Fazits:
Bleiben Sie neugierig.
Uwe Jarosch
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